Montag, 24. Mai 2010

Prolog + V 2.0 von Kapitel I

Prolog

Im obersten Zimmer des Turmes öffnete sich eine mechanische Tür. Ein geflügeltes Wesen schwirrte herein und sprach den am Fenster Stehenden mit blechern klingender Stimme an: „Meister, die Bardin und ihre kümmerlichen Gefährten sind auf dem Weg hierher.“
Das kleine grüne Teufelchen neigte unterwürfig den Kopf. „Sie sind noch etwa zwei Tagesmärsche von hier entfernt. Wie lauten eure Befehle?“
Der dunkel gewandete Elf hob spöttisch einen Mundwinkel und ließ sich einige Sekunden zeit, ehe er gestelzt antwortete:
„Sehr schön. Mein lieber Flatul, du wirst Sorge tragen, dass bei der Gefangennahme nichts schief läuft. Ich übertrage dir hiermit den Oberbefehl.“
Auf dem Gesicht des Teufelchens zeigte sich keine Regung, innerlich stöhnte Flatul jedoch auf. Ganz wunderbar. Warum muss das ausgerechnet immer ich ausbaden? Er muss doch ganz genau wissen, dass diese Hohlbirne von einem Köter und seine…Tölen… nicht auf mich hören. Wenn sie mich nicht sogar wieder auffressen wollen…hoffentlich steckt mich diesmal keiner in den Mund, die Biester stinken bestialisch.
„Ich höre und gehorche, Meister.“
Mit einem Wink entließ der Elf das Teufelchen, das sich eilends zurückzog und zu den Gnollen begab, die im ersten Untergeschoss ihr Quartier hatten. Dort angekommen, flatterte es durch die Tür und brüllte augenblicklich los:
„Der Meister hat mir den Oberbefehl erteilt und ihr werdet mir gehorchen! Und wehe nicht!“
Die Biester drehten ihre Köpfe zu ihm und schauten ihn entgeistert an, dann kicherten sie belustigt los.
„So? Du bist also unser Anführer!“ Der Rudelführer Teylwag, das mit Abstand größte der Monster, war aufgestanden und grinste die im Vergleich zu ihm winzige Kreatur an. Dann sagte er mit rauher, gutturaler Stimme: „Dann erklär’ uns doch ma’ dein’ Plan.“
Flatul stutzte. Konnte es denn möglich sein? Dann grinste er selbstsicher und begann zu plappern: „ Also, wir überfallen sie, während sie schlafen. Ich werde einen Zauber wirken und dann p… Weiter kam er nicht, denn der dickste der hyänenähnlichen Humanoiden, ein wahrer Klotz von einem Gnoll namens Bing, hatte ihn gepackt und kurzerhand in seine hundeartige Schnauze gesteckt, aus der gedämpft Flatuls Gezeter drang, während Bing genüsslich schmatzte und der Rest des Rudels loskicherte.


I. Fliegendes Mobiliar

Mit einem Zischen flog ein Stuhl um Haaresbreite an Durgrims Schädel vorbei. Der Zwerg brüllte:
„Beim Hammer Morradins! Mädchen, hättest du nicht einmal deine Finger bei dir behalten können?!“
Die junge Frau, kaum älter als 18 Lenze, schaute in seine Richtung, grinste und zuckte entschuldigend mit den Schultern, was ihr Gegner mit einem Treffer quittierte, der sie durch den halben Raum beförderte.
„Das geschieht dir ganz Recht!“ rief Durgrim und lachte schallend, doch auch er hatte nicht mehr Glück: Die heran fliegende Lehne des nächsten Stuhls traf ihn mitten ins Gesicht. Die quirlige Kira mit dem violetten Haarschopf behauptete sich unterdessen ausgesprochen gut gegen gleich zwei Gegner. Der grobschlächtige Stuhlwerfer erlebte allerdings eine Überraschung, als er sich über den vermeintlich bewusstlosen Durgrim beugte: Dieser packte den Mann, der beinahe doppelt so groß war wie er, kurzerhand am Kragen und warf ihn über sich hinweg, wo er krachend auf einem Tisch landete, der daraufhin unter ihm zu Bruch ging.
„Ha, das kommt davon wenn man sich mit Durgrim Donnerfels anlegt!“
Mit diesen Worten rappelte der schwer gerüstete Zwerg sich mühsam auf und sah sich um. Das Mädchen, Talana, auf das zwei Schläger energisch eindrangen, hatte einen schweren Stand. Kurz entschlossen eilte Durgrim hinüber und warf sich auf einen der Gegner, der unter dem heranschießenden Gewicht des Zwerges einfach zusammenbrach. Durgrim sprang auf, schüttelte wild seinen Kopf und schnappte sich einen Tisch, den er in die Meute der Gegner warf. Währenddessen war auch Talana wieder im Rennen: Sie packte kurzerhand die zwei Männer, die mit ihren Fäusten nach ihr schlugen, bei den Haaren und schlug sie mit den Köpfen zusammen. Kira löste sich von ihrem Gegner, eilte die Treppe hoch, kletterte auf das Geländer und sprang. Geschickt griff sie nach dem Leuchter und landete gleich darauf sehr elegant direkt vor der Tür.
„Kommt, ihr Verrückten! Zeit zu gehen!“
Sekunden später waren alle drei Freunde an der Tür und suchten ihr Heil in der Flucht…

„Mädchen, wenn ich dich in die Finger bekomme!“ jappste Durgrim, während sie liefen. „Wenn du nicht vorher blau anläufst und umfällst meinst du?!“ entgegnete die junge Frau vergnügt.
„-Psssst!“ ließ Kira energisch verlauten. Die Verfolger waren ihnen immer noch dicht auf den Fersen. Als sie einen Haken schlug und scharf rechts abbog, fiel der Zwerg beinahe über seine Füße. Sekunden später pressten sie sich im Schatten an eine Wand, während die Verfolger lautstark an ihrem Versteck vorbeihasteten. Als die Geräusche langsam verstummten, wagte es die Diebin, aus ihrem Versteck hervorzulugen. Triumphierend sagte sie:
„Sie sind weg. Da braucht es mehr als ein paar Halunken, um mich zu fangen.“
Doch im gleichen Augenblick kam ein Mann um die Ecke und rief laut nach seinen Kameraden, als er sie erblickte, woraufhin die wilde Jagd weiterging, bis die drei Gefährten schließlich die Tore des kleinen Städtchens hinter sich gelassen hatten.

„Was der verrückte Zauberer wohl für Geheimnisse in seinem Turm hütet?“ –fragte Kira in die Runde, als sie einige Zeit später unter dem Sternenhimmel Faeruns an einem Lagerfeuer zusammen saßen und ihre Blessuren versorgten.
„Bei Clangeddin, das ist mir verdammt noch mal egal!“
ließ der wütende Zwerg verlauten, während er sich die linke Schläfe rieb, die ein anständiger Bluterguss zierte. Er saß wie immer im Kettenhemd da.
„Ach Durgrim, es ist doch nichts passiert, und ein wenig Aufregung ins Leben dieser Bauersleute zu bringen war gewiss genau das Richtige“, warf Kira ein, die ihre scharfen Reflexe einmal mehr vor größeren Blessuren gerettet hatten. Sie kämmte ihr violettes Haar (eigentlich war Kira zebrablond. Seit einem "geringfügigen" Unfall mit einem Zauberbuch ihres Großonkels hatte ihr Haar jedoch eine permanent violette Färbung angenommen. Trotzdem pflegte sie zu sagen: "Ihr werdet schon sehen. Eines Tages werde ich eine mächtige Zaubererin sein und euch alle in Statuen verwandeln.") mit einem groben Kamm, aus dem schon mehrere Zähne herausgebrochen waren.
Der Zwerg schnaubte empört:
„Ein bisschen Aufregung?! Irgendwann wird dich das wenigstens deine langen Finger kosten. Verdammter Mensch.“
Innerlich jedoch grinste er. Aufregend war es gewesen, fürwahr! So wie immer, seit jener Nacht im fernen Athkatla, also er die beiden in der Taverne Seeschatz vor einigen aufgebrachten Matrosen gerettet hatte. Nun grinste der Zwerg auch äußerlich, als er das letzte Jahr Revue passieren ließ: Waren sie damals kaum mehr als verstörte Küken gewesen, konnte zumindest Talana mittlerweile ein Schwert richtig herum halten. Sogar Kira, die nie still sitzen konnte, war unter seinem Einfluss etwas ruhiger und zielstrebiger geworden. Sicher, noch wich sie zwar in Übungsgefechten behände jedem Schlag seiner Axt aus, stieß aber dafür im gleichen Atemzug immer noch garantiert jeden vollen Eimer um, der in 10 Metern Radius um sie herum stand. Aber eines Tages…
Der Zwerg war nachdenklich geworden. Er hatte die Mädchen ins Herz geschlossen. Wenn sie doch nur die anderen Flausen wie das tägliche Waschen, das unsägliche Musizieren oder in Kiras Fall die Träume von einer Laufbahn als Magierin aufgeben würden! Schwerter schmieden, das sollte sie lieber mal lernen! Hingebungsvoll seufzte Durgrim.
Sie alle waren noch einmal halbwegs glimpflich davon gekommen, nachdem es die Bardin einmal wieder geschafft hatte, eine ganze Taverne gegen die Gruppe aufzubringen, indem sie bei den Trinkgeldern für ihre Darbietung etwas „nachgeholfen“ hatte. Der junge Mann, eigentlich ein Verehrer, hatte es gar nicht lustig gefunden, als ihre Hand in seine Hosentasche anstatt ins Hoseninnere gewandert war…
Während der Zwerg und ihre Schwester sich noch einen mäßig inspirierten verbalen Schlagabtausch lieferten, war Talana mit ihren Gedanken ganz weit weg. In der Tat, was wollte ihre Auftraggeberin mit dem Artefakt, das sie für sie zurückholen sollten? Und wenn sie doch eine Magierin von beträchtlicher Macht war, wie man es sich erzählte, wieso holte sie es sich nicht selbst? Möglicherweise war sie doch nicht so mächtig. Oder aber…was?
Immer wieder endete ihr Gedankengang an dieser Stelle, sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Seufzend wandte sie ihre Aufmerksamkeit ihren beiden Gefährten zu, die mittlerweile die kümmerlichen Reste ihres Proviants ausgepackt hatten und versuchten, daraus eine genießbare Mahlzeit zuzubereiten. Keine einfach Angelegenheit, denn alles, was sie hatten, war ein halber Laib trockenes Brot, ein wenig vor Fett triefendes Dörrfleisch und einige Äpfel. In dem ganzen Tumult hatten sie ganz vergessen, in dem Städtchen die Vorräte aufzustocken.
Schweigend aßen sie, und keinen der drei wunderte es, als es zu regnen begann. Resigniert saßen sie da, kauten auf ihrem faden Essen herum, während ihr nicht gerade meisterhaft aufgeschichtetes und ohnehin vor sich hin qualmendes Lagerfeuer aus grünen Zweigen zischte, vor sich hin dampfte und qualmte. Nach einigen Augenblicken waren sie bereits nass bis auf die Knochen. Der Zwerg grummelte erneut etwas von „verdammtes, kurzlebiges Diebespack“, als Kira aus dem Augenwinkel eine Bewegung erahnte und herumfuhr. Nur wenige Menschen hatten so scharfe Sinne wie die junge Diebin, die darauf geschult war, verborgene Türen und Fallen zu entdecken. Sie erhob sich vorsichtig, sah sich um und zuckte resigniert mit den Schultern. Wer auch immer das war, wenn er ihr Böses wollte, hätte er mit dem Feuer wenig Mühe gehabt, sie zu sehen, wohingegen sie, die sie vom Schein des Feuers geblendet war, beinahe gar nichts sah. So ging sie sorglos zu der Stelle, wo sie die Bewegung wahrgenommen hatte, nur um einen Laut des Erstaunens von sich zu geben: Vor ihr lag ein großes Bündel, eingewickelt in die Haut eines großes Tieres. Aufgeregt hob sie es auf, trug es zu den anderen hinüber und begann es auszupacken: Darin befanden sich mehrere lange, an einer Seite angespitzte Holzpfähle, einige Decken, deren eine Seite gewachst war und, als ob das nicht schon seltsam genug gewesen wäre, zwei tote Wildhasen, gehäutet und bereit, gebraten zu werden!
Durgrim schaute misstrauisch, aber Talana lächelte anerkennend.
„Also sind die Geschichten wahr!“
Nun hatte sie die Aufmerksamkeit der beiden, und sie fuhr fort:
„Man erzählt sich, dass sich immer wieder Waldläufer der Unglückseligen annehmen, die ohne Hilfe in der Wildnis verloren wären.“
Der Kämpfer brummelte darauf hin etwas von „blöden Spitzohren und ihren blöden Wäldern“, aber Kira sah ihn tadelnd an.
Bald darauf brannte ihr Feuer ruhiger, während sie unter einer Plane im Trockenen saßen und der Geruch von Hasenbraten sich ausbreitete. Im Dunkeln am Rande der Lichtung nickte eine hinter einigen Sträuchern versteckte Gestalt zufrieden und schwirrte schließlich in Richtung der Gnolle leise davon.

Durgrim erwachte, hielt die Augen aber noch geschlossen. Nach all den Jahren an der Oberfläche war er immer noch lichtempfindlich. Ganz schön dunkel in diesem Wald. Und modrig riecht es hier. Schlampige Spitzohren, könnten hier mal wieder aufräumen. Moment...seit wann riecht es in einem Wald modrig?
Er schlug die Augen auf und sah sich um. Statt des erwarteten Grüns starrte er auf kahle Kerkerwände.